Von Alexander Sperk
In Wein steckt immer auch ein Stück Geschichte – wie viel das sein kann, das zeigten die drei Deidesheimer Spitzenweingüter von Winning, Reichsrat von Buhl und Bassermann-Jordan und ihre kreativen Köpfe bei einer Präsentation Ende August. Anlass für die kleine Feierstunde war der 300. Jahrestag der Gründung des „Vaterhauses“ (Geschäftsführer Gunther Hauck) Bassermann-Jordan. Höhepunkt des Abends und zweifellos ein denkwürdiger Moment für alle Anwesenden war die Verkostung eines Rieslings aus der Lage Forster Ungeheuer – aus dem Jahrgang 1811, dem Kometenjahrgang!
Gunther Hauck verlas dazu eine Aufzeichnung von Andreas Jordan: „Seit 1783 wurde kein solch trefflicher Wein erzielt“, hatte dieser notiert. Dass es sich bei 1811 um einen guten Weinjahrgang gehandelt haben muss, wird auch daran deutlich, dass er in Goethes Westöstlichem Divan Erwähnung findet. Aber wie schmeckt nun ein Wein, den Goethe, Wilhelm Busch oder Otto von Bismarck, alles Bassermann-Jordan-Kunden, getrunken haben könnten? Eine gewisse Ehrfurcht, aber auch Vorfreude war im Raum deutlich zu spüren. Dies steigerte sich noch, als Gunther Hauck erwähnte, dass es noch ganze acht Flaschen von dem Wein gibt. Im Glas zeigte der Riesling eine orangene Farbe.
Irgendwie erinnerte der Kometenwein anno 1811 an einen Orangewein. Unglaublich wie lebendig er sich nach mehr als 200 Jahren noch präsentiert, wie spannend die Nuancen wirken, die an Anis, frisch geriebene Orangenschale, Trockenfrüchte und einen Schuss Limette erinnern. Ein unvergessliches Trinkerlebnis.
Lebendig und komplex
Der Kometenwein war nur der Höhepunkt einer Probe, die außerdem mit zahlreichen flüssigen Raritäten begeisterte – und natürlich mit ganz viel Geschichte. Den Anfang machte Stephan Attmann von von Winning, der drei Auslesen aus der Lage Kalkofen präsentierte: unheimlich rund und stimmig zeigte sich der jüngste Wein im Bunde, die im Holzfass vergorene Riesling Beerenauslese des Jahrgangs 2015. Nuss, gebrannte Mandeln und Zitrus prägten die Trockenbeerenauslese aus dem Jahr 1988, dem Jahr vor der Wende. Ein eher säuregeprägter Jahrgang, wie Stephan Attmann berichtete. Deutlich spürbar war die Säure auch noch in der 1979er Riesling Auslese, die weniger geschmeidig dahrkam.
Zeitlich weiter zurück konnte Mathieu Kauffmann gehen, der drei Weine aus dem Hause von Buhl vorstellte, alle aus der Lage Forster Freundstück. Ebenfalls ein Fleckchen Erde mit unheimlich viel Geschichte: Im Jahr 1900 entstammte ihr der teuerste Wein der Welt, wie Kauffmann berichtete. Derzeit werde das Freundstück, in dessen Boden Buntsandstein, Ton und etwas Basalt von der benachbarten Lage Pechstein dominieren, nicht so sehr „gehyped“, wie der Oenologe erzählte, der sich dennoch – oder gerade deshalb – vorgenommen hat, das Freundstück „wieder nach vorne zu bringen“.
Geschichtsstunde mit Wein
Die drei Weine, die Kauffmann im Gepäck hatte, waren alle grandios. Die 1967er Riesling Auslese gefiel mit seiner nussig-geschmeidigen Art, bei der 1953er Riesling Beerenauslese beeindruckte neben lebendigen Fruchtnoten (Mirabelle, Kirsche) auch ein leicht rauchiges Aroma. Ganz viel Historie schmeckte bei der 1925er Trockenbeerenauslese mit. Jede Beere sei von Hand sortiert worden und das nur wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, wie Mathieu Kauffmann berichtet. Der Weinjahrgang 1925 habe zwischen zwei großen Jahrgängen nur mäßigen Ertrag und keine herausragende Qualität hervorgebracht. Doch auch dieser Süßwein beeindruckte mehr als 90 Jahre nach seiner Füllung mit einer wunderbaren Komplexität und vielen außergewöhnlichen Noten: Trockenfrüchte, Salz, Schokolade, Zitronenschale und Meeresfrüchte meine ich, herausgeschmeckt zu haben.
Dann das Trio von Bassermann-Jordan. Das Weingut hatte sich entschieden, Raritäten aus der Lage Deidesheimer Hohenmorgen, der kleinsten Einzellage des Betriebs, zu präsentieren. Wie die 1942er Riesling Auslese – ein Wein, der kriegsbedingt von Frauenhand entstanden war und mehr als 75 Jahre später mit seiner rauchigen Note gefällt. Salz, Rauch, lebendige Säure – das habe ich mir zur 1950er Riesling Beerenauslese notiert. Ein Jahrgang, in dem die Winzer in der Pfalz mit Mehltau und starker Fäulnis zu kämpfen hatten, wie Ulrich Mell berichtete. Besonders beeindruckend die Riesling Trockenbeerenauslese aus dem Jahr 1925: viel Geschichte, noch mehr Lebendigkeit – wie so viele Weine an diesem außergewöhnlichen Abend.